10 Tipps zum Führen einer Nachhilfeschule
Ein Experteninterview.
Du spielst mit dem Gedanken, eine eigene Nachhilfeschule zu gründen oder hast deine Nachhilfeschule vor kurzem eröffnet? Dann stehst du vermutlich gerade vor einigen organisatorischen Hürden, stellst dir die Frage, worauf du achten musst und was du eher bleiben lassen solltest.
Profitiere von den Erfahrungen von Dr. Cornelia Sussieck. Sie beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit dem Thema Nachhilfe, führte fast ebenso lange ihre eigene Nachhilfeschule, ist Gründerin des VNN, den sie auch viele Jahre lang als Vorsitzende geleitet hat. Im Interview gibt sie wertvolle Tipps zum Führen einer Nachhilfeschule und berichtet, worauf es wirklich ankommt:
Carolin Seffrin: Frau Dr. Sussieck, welche Kompetenzen sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig für den Inhaber einer Nachhilfeschule?
Dr. Cornelia Sussieck: Das Allerwichtigste ist es, sich klarzumachen, dass man dabei ist, sich selbstständig zu machen. Mit allen Vor- und Nachteilen. Es ist einfach ein Unterschied, ob ich als Angestellter arbeite oder ein Unternehmen führe.
Um ein Unternehmen zu führen, braucht es sicherlich viel Freude an der Arbeit und Kreativität, aber an allererster Stelle ganz viel Fleiß. Heute spricht man viel über Work-Life-Balance. Das ist für einen Unternehmer nur das zweite Ziel seiner Lebensplanung. Das erste Ziel ist es zu überleben, Geld zu verdienen, mit einem guten Produkt. Die Kreativität ist wichtig, denn er braucht ein Produkt, das sich von den Wettbewerbern absetzt. Außerdem braucht er die Fähigkeit, konzeptionell und systematisch zu denken.
Carolin Seffrin: Welches sind die drei größten Learnings, die Sie über die Jahre im Umgang mit Lehrern und Mitarbeitern gesammelt haben und auch weitergeben möchten?
Dr. Cornelia Sussieck: Ich bin ja keine Schwäbin, aber ich lebe etwas nördlich von Schwaben (lacht). Als ich hier hinkam, hieß es: „Nicht geschimpft ist genug gelobt“. In der Tat musste ich lernen, Mitarbeiter zu loben, wahrzunehmen, was sie tun. Ihre Stärken und natürlich auch ihre Schwächen zu erkennen und den Willen zu entwickeln, mit den Mitarbeitern an den Schwächen zu arbeiten. Denn in der Regel sollte man bei einer Zusammenarbeit davon ausgehen, dass alle Beteiligten willens sind, eine gute Leistung abzuliefern. Wenn jemand das nicht richtig schafft, sollte man ihn unterstützen. Das ist etwas ganz Wichtiges, das ich lernen musste: mit Mitarbeitern umzugehen. Man muss wissen: In einem kleinen Unternehmen hat jeder seine Rolle.
Mir war auch immer ganz wichtig, dass jeder an den Platz kommt, an dem er sich auch am wohlsten fühlt und seine Kompetenzen am besten ausleben kann. Ganz unabhängig davon, was die Person gelernt hat.
Carolin Seffrin: Wenn man nun nicht die Mitarbeiterperspektive sieht, sondern auf die Lehrer bezogen: Gibt es da etwas Besonderes, das Sie weitergeben könnten?
Dr. Cornelia Sussieck: Da wir in der Regel mit freien Mitarbeitern arbeiten, ist das ein ganz schwieriger Teil der Aufgabe des Nachhilfeschulinhabers. Man hat es mit extrem unterschiedlichen Menschen zu tun, die auch ganz unterschiedliche Motivationen haben, warum sie bei uns arbeiten. Ich habe mich immer bemüht, sie fortzubilden. Ihnen eine Perspektive zu bieten, damit sie eine Chance haben, bei mir Geld zu verdienen und sich persönlich weiterzubilden. Aber auch ich habe von Mitarbeitern lernen können.
Zu einzelnen Mitarbeitern hatte ich ein sehr gutes Verhältnis. Aber darüber hinaus hat sich durch viele Gespräche auch Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Dazu haben sicher auch Rituale wie Sommerfeste und Weihnachtsfeiern beigetragen. Solche Rituale habe ich immer gepflegt.
Carolin Seffrin: Also quasi „Teambuilding“ und die Förderung des Zusammenhalts im Unternehmen.
Dr. Cornelia Sussieck: Ja, genau.
Carolin Seffrin: Welche Möglichkeiten gibt es nach der Gründung, die Nachhilfeschule vor Ort oder auch überregional bekannt zu machen? Was sind hier Ihre Erfahrungen, was besonders gut funktionieren kann oder geklappt hat?
Dr. Cornelia Sussieck: Ich muss ehrlich zugeben, heute eine Nachhilfeschule zu gründen ist anders als vor über 30 Jahren. Es war damals einfacher, das muss ich wirklich sagen.
Ganz wichtig ist es zu Netzwerken. Ich muss mich bekannt machen in der Stadt, bei den Vereinen. Es gibt natürlich ganz, ganz viele Vereine. Deshalb sollte man sich auch die heraussuchen, die einem am besten gefallen.
Wichtig ist es auch, Gutes zu tun und darüber zu reden. Ich habe zum Beispiel viele Jahre lang einen Jugend-Tennis-Cup des Tennisclubs in Schwetzingen gesponsert. Das war nicht ganz preisgünstig, da ich beispielsweise auch die Pokale bezahlen musste. Das führte aber dazu, dass ich einmal im Jahr bei diesem großen Turnier aufgetreten bin. Da war auch die Presse vor Ort und man hat mir 100.000-mal gedankt. Es stellte sich anschließend heraus, dass in der Tat 70 bis 80 Prozent aller Jugendspieler dieses Vereins bei mir Kunden waren.
Carolin Seffrin: Also eine richtig gute Quote.
Dr. Cornelia Sussieck: Ja, das war eine richtig gute Quote (lacht). Das kann man sicherlich mit allen Vereinen machen. Netzwerken ist einfach ganz wichtig, sich bekannt zu machen als ein seriöser Unternehmer, der etwas zu sagen hat.
Darüber hinaus ist die Arbeit mit Schulen extrem wichtig. Auch da muss man sich bekannt machen. Ich muss mir die Frage beantworten: Warum sollten die Schüler zu mir kommen und nicht zum Wettbewerber? Als Einzelunternehmer vor Ort hat man den riesengroßen Vorteil, dass man viel individueller mit den einzelnen Schulen und Vereinen umgehen kann. Im Gegensatz zu großen Konzernen, die diese Dinge zentral steuern müssen. Deshalb hat man die Chance, als Persönlichkeit zu überzeugen.
Carolin Seffrin: Das stimmt, ein guter Punkt, gerade regional betrachtet. Mit welchen Methoden der Schülergewinnung haben Sie denn die besten Erfahrungen gemacht?
Dr. Cornelia Sussieck: Mit Mundpropaganda. Mundpropaganda ist das Ein und Alles. Natürlich wird man auch andere Medien bedienen, aber wenn die Mundpropaganda nicht auf Touren kommt oder schwächelt, weiß man ganz genau, man hat etwas falsch gemacht. Dann muss man analysieren, woran es liegt. Man muss alles auf den Prüfstand stellen, damit die Mundpropaganda funktioniert.
Mundpropaganda bedeutet in diesem Fall: Eine Mutter erzählt der anderen Mutter von der guten Nachhilfe. Oder sie ist so begeistert, dass auch das jüngere Geschwisterkind zur Nachhilfe kommt. 70 bis 80 Prozent der Neuanmeldungen sollte über die Mundpropaganda kommen. Dafür muss natürlich viel getan werden. Die Qualität muss stimmen, die Lehrer müssen gut sein, die Zuverlässigkeit muss stimmen. Das sind Stellschrauben, an denen man drehen kann.
Carolin Seffrin: Falls die Mundpropaganda nicht so gut klappt, haben Sie da schon einmal Methoden ausprobiert, auch mit Schülern in Dialog zu gehen und aktiv nach Verbesserungswünschen zu fragen? Oder haben Sie das immer selbst analysiert und auch mit Ihrem Team besprochen und geschaut, woran man arbeiten kann?
Dr. Cornelia Sussieck: Wir haben regelmäßige Kundenumfragen gemacht. Alleine schon, weil wir auch viele Jahre ein Qualitätsmanagement-System in der Schule hatten. Kundenumfragen, Schüler- und auch Elternumfragen, sind extrem wichtig und man bekommt manchmal Ergebnisse, mit denen man nicht gerechnet hat.
Ich nenne einmal ein Beispiel. Wir haben irgendwann einmal gesagt, „Wir müssen mehr auf die Kunden eingehen. Auch, wenn die Kunden andere Wünsche haben, als unser Konzept vorsieht. Die Kunden wollen einfach mehr Einzelunterricht, andere Beratungen etc. Das kostet zwar Geld und Zeit, aber wir machen das.“
Im folgenden Jahr haben wir wieder eine Kundenbefragung gemacht. Da wurden die Lehrer bewertet und die Organisation in der Schule. Ausgerechnet in diesem Jahr haben wir eine katastrophale Bewertung bekommen und das natürlich gar nicht verstanden. Wir hatten doch gerade in diesem Jahr alles getan, was die Kunden sich gewünscht hatten. Im Gespräch haben wir herausgefunden, dass das genau die falsche Strategie war. Das hat die Kunden verunsichert. Die Kunden wollen eine klare Linie, sie wollen Grenzen haben, wollen wissen, wo es langgeht. Das haben wir dann auch wieder so gemacht: Wir haben unsere Arbeitsweise klar geregelt und somit auch deutlich gemacht, was die Kunden von uns erwarten können. Danach haben wir auch wieder gute Bewertungen bekommen.
Carolin Seffrin: Also quasi eher einen klaren Rahmen vorgeben?
Dr. Cornelia Sussieck: Ja, genau.
Carolin Seffrin: Die Schülergewinnung haben wir uns nun angeschaut. Was funktioniert gut, um Lehrer für die Nachhilfeschule zu gewinnen?
Dr. Cornelia Sussieck: Die Antwort ist ganz einfach: Mundpropaganda (lacht). Lehrergewinnung ist heute für die Nachhilfeschulen vor Ort ein riesiges Problem, aber es war auch früher nicht einfach.
Deshalb habe ich die Lehrer, mit denen ich gut zusammengearbeitet habe, gefragt „Haben Sie nicht einen Freund oder Bekannten, der Lust hat, bei uns zu arbeiten?“ Ich kann sagen: Ich habe auf diese Weise immer gute Mitarbeiter bekommen. Ein Lehrer, der sich bei uns wohlgefühlt hat, hätte uns nie jemanden empfohlen, der nicht geeignet gewesen wäre. Das wäre ihm viel zu peinlich und unangenehm gewesen. Daher war das immer der beste Weg, um Mitarbeiter zu finden. Alles andere ist Knochenarbeit, zum Beispiel Aushänge an den Universitäten. Später haben wir auch soziale Medien genutzt, aber die Mundpropaganda war immer das Mittel, das am besten funktioniert hat.
Carolin Seffrin: Also auch hier wieder persönlicher Kontakt. Welche Bedeutung spielen denn Förderprogramme für eine Nachhilfeschule? Können Sie uns aktuell relevante Förderprogramme nennen?
Dr. Cornelia Sussieck: Förderprogramme, die mir spontan einfallen, sind das “BUT”, also „Bildung und Teilhabe“ und „Rückenwind“ in Baden-Württemberg. In allen Bundesländern gibt es Corona-Aufhol-Maßnahmen, die aber unterschiedlich angelegt sind.
Ich weiß von Kollegen, die hauptsächlich von „Bildung und Teilhabe“ leben. Das wird in eigentlich allen Ländern durchgeführt, wenn auch zum Teil etwas unterschiedlich.
Ich finde allerdings, dass man vorsichtig sein sollte mit einem einzigen „Lieferanten“. Denn: Ändert sich das Gesetz, bricht meine Firma zusammen. Man sollte immer versuchen, auf mehreren Standbeinen zu stehen. “Bildung und Teilhabe” ist mit etwas Glück ein gutes Zubrot und man kann wirklich gutes Geld verdienen. Aber auch hierfür muss man gut netzwerken, in diesem Fall mit den Ämtern.
Ansonsten sind die privaten Kunden, die Selbstzahler, ein ganz wichtiges Standbein.
Carolin Seffrin: Also sollte man nicht komplett auf Förderprogramme setzen, sondern diese eher als Add-on verstehen und sich insgesamt breiter aufstellen. Ein weiteres, natürlich allgegenwärtiges Thema: Welche Herausforderungen und Veränderungen hat die Corona-Pandemie für Nachhilfeschulen mit sich gebracht?
Dr. Cornelia Sussieck: Dazu muss ich ein wenig ausholen: Klassischerweise sind die Inhaber von Nachhilfeschulen Lehrer und damit Menschen, die nicht aus tiefstem Herzen selbstständig sind. Manch einer mag seine Nachhilfeschule gegründet haben, um Kindern zu helfen.
Die Pandemie ist allerdings das erste Mal gewesen, seit ich mich mit Nachhilfe beschäftige und das ist seit 1988, dass wirklich ein Ruck durch die Kollegen gegangen ist. Bislang haben sie immer auf ihrem Stuhl im Büro gesessen und haben ihre Arbeit gemacht – auf die eine oder andere Weise. Jetzt passierte plötzlich etwas Unvorhergesehenes.
Tatsächlich sind einige aus der Bahn geworfen worden, da sie damit nicht umgehen konnten. Aber es hat mich doch riesig gefreut, dass es die Allermeisten geschafft haben. Fast möchte ich sagen, sie sind aufgewacht. In Windeseile haben sie den Unterricht auf Online umgestellt, obwohl es nicht wirklich ihrer Überzeugung entsprach. Aber wie sollten sie ihre Schüler erreichen, wenn man sich nicht mehr normal treffen konnte? Ich fand das ganz toll und ich glaube, dass dieser Ruck auch nachwirkt. Er hat die Nachhilfebranche verändert.
Carolin Seffrin: Corona als ausschlaggebender Faktor für eine digitale Transformation sozusagen? Das wäre tatsächlich auch meine nächste und letzte Frage: Wie schätzen Sie die Relevanz dieser digitalen Transformation ein, auch auf die Zukunft bezogen? Wird sie weiter vorangetrieben oder kehren viele Nachhilfeschulen wieder zu alten Mustern zurück?
Dr. Cornelia Sussieck: Es fällt mir schwer zu sagen, wie sich die Branche entwickeln wird. Ich kann Ihnen aber sagen, wie ich mein Unternehmen führen würde. Ich würde ein Hybridunternehmen gründen. Ich würde den Eltern neue Angebote machen, denn die Zeit wird immer schnelllebiger.
Außerdem haben wir ja das Problem, nicht nur an neue Lehrer, sondern auch an neue Kunden zu kommen. Wer seinen Radius ausdehnen kann, indem er auch Online-Unterricht anbietet, ist sicherlich im Vorteil.
Ich bin aber durchaus der Meinung, dass Menschen sich treffen sollten. Wenn man eine engere Beziehung aufbauen will – und das ist zwischen Nachhilfelehrer und Nachhilfeschüler der Fall -, dann müssen wir uns auch persönlich treffen.
Ich könnte mir vorstellen, dass man dreimal Online-Unterricht anbietet und sich dann einmal im Monat persönlich in der Nachhilfeschule oder zu Hause beim Nachhilfeschüler trifft. Bei dem Treffen werden dann auch zuvor festgelegte Themen besprochen. Solch ein Angebot würde ich wahrscheinlich machen.
Natürlich würde ich allen, die das möchten, Präsenzunterricht anbieten. Weil ich es für gut halte und ein Nachhilfelehrer eben mehr ist, als nur ein Vermittler von Fakten.
Carolin Seffrin: Ja, da spielt ja noch viel mehr mit rein.
Dr. Cornelia Sussieck: Online kann ich nur schwer erkennen, wie sich eine Person gerade fühlt. Macht sie nur ein nettes Gesicht und ist eigentlich total sauer oder traurig, weil der Hund gerade gestorben ist? Wenn ich mich persönlich mit einem Menschen treffe, habe ich auch eher Mut zu sagen, wie es mir gerade geht. Das ist absolut notwendig, um das Vertrauen aufzubauen. Auch, damit der Lehrer Zugang zu dem Schüler hat und seine Motivation verbessern kann.
Carolin Seffrin: Vielen Dank für das Interview, es war wirklich spannend, von Ihren Erfahrungen und Einschätzungen zu hören.
Dr. Cornelia Sussieck: Sehr gerne.
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